h1

Erzaehl zu Hause, dass Medellín sich veraendert hat…

Dezember 14, 2006

Medellin hat eine MetroMedellín verdankt seine Bekanntheit in der Welt einer unruehmlichen Vergangenheit, beherbergte es doch das gleichnamige Kartell, das Anfang der 80er bis Mitte der 90er Jahre einen Grossteil des weltweiten Kokainbedarfs (hm, spricht man bei harten Drogen von „Bedarf“?) deckte. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang der Drogenboss Pablo Escobar, ueber den ich spaeter noch mehr berichten werde, nachdem ich seine Biographie studiert habe. Bis Ende der 90er Jahre muss es in der Stadt wild hergegangen sein: Schiessereien auf offener Strasse, Kopfgelder auf Polizisten und dergleichen mehr. Ich war natuerlich nicht dabei, aber wenn es stimmt, kann ich bestaetigen, dass Medellín sich veraendert hat. Die Stadt macht heute einen friedlichen, aufgeraeumten Eindruck, sie erscheint urban in einem europaeischen Sinn. Ich habe Lust, ein Loblied anzustimmen.

Medellín hat eine Metro, und das macht es wesentlich einfacher und komfortabler, sich in der Stadt fortzubewegen. Bahnsteige und Zuege sind so sauber geleckt, dass man sich in Bayern waehnt oder in der Schweiz. Das allerschoenste aber ist, dass das Verhalten der Menschen in der Metro mit ihrer blinkenden Sauberkeit konvergiert. Sie warten an den Haltestellen, bis die drinnen ausgestiegen sind, gehen zur Seite, wenn jemand vorbei moechte, bieten Muettern mit Kleinkindern und Gebrechlichen ihren Platz an. Wer sich jetzt wundert, dass ich mich darueber so freue, lese meinen Blogeintrag ueber den Transmilenio in Bogotá vom August. Der Unterschied ist beeindruckend. Offensichtlich ist dieses verbreitete gute Benehmen Frucht einer intensiven Erziehungkampagne. Die Bahnsteige sind geschmueckt mit Plakaten mit der Aufschrift „Llevamos la cultura de la metro a toda la ciudad“. La cultura de la metro? Genau. Gelegentlich wird ueber Lautsprecher darauf hingewiesen, dass Aussteigen vor dem Einsteigen kommt. Einmal haben wir einen Handzettel mit Verhaltensempfehlungen bekommen; der Plan ist, ihn zu kopieren, das Wort „Metro“ zu ersetzen und im Transmilenio zu verteilen. Im Reisefuehrer wurde ueber Medellín auch positiv der Respekt gegenueber Fussgaengern hervorgehoben. Autos halten an. In Bogotá zaehlt eine Strasse ueberqueren als sportliche Aktivitaet.

mild!

Ein weiterer Pluspunkt der Stadt ist das Klima, nicht umsonst nennt man sie auch la ciudad de la enterna primavera. Das heisst nicht, dass es nicht regnet, irgendwie regnet es hier ueberall, aber in Medellín herrscht in den Stunden dazwischen angenehmes T-Shirt-Wetter, nicht zu warm, nicht zu kalt. Es gibt schoene Plaetze und Fussgaengerzonen, die dazu einladen, sich niederzulassen und sich in der Sonne einen tinto oder einen jugo zu genehmigen. Alles ist irgendwie ordentlicher und sauberer als in Bogotá, man begegnet auch weniger abgewrackten Typen. Dabei ist Medellín natuerlich immer noch eine Stadt in Kolumbien mit deutlich sichtbarer Armut. Eins der aermsten Viertel mit elenden Buden aus Pappe und Wellblech befindet sich direkt gegenueber dem Busbahnhof.

Botero and meParque BoteroParque BoteroParque Botero

Neben dem bereits erwaehnten Drogenboss gibt es noch einen anderen Sohn der Stadt, der es weltweit zu grosser Beruehmtheit gebracht hat: Fernando Botero. Zu einem kunstkritischen Exkurs reicht es diesmal nicht, aber zumindest so viel muss gesagt werden: Alles, was Botero malt oder in Bronze giesst, ist dick. Dicke Frauen, dicke Maenner, dicke Kinder, dicke Viecher, dickes Obst. Ich habe ein Foto gesehen, Botero selber ist gar nicht dick. Wer weiss, von was das kommt. Der Parque Botero im Zentrum von Medellín ist jedenfalls sehr sehenswert.

Die exzentrische Weihnachtsbeleuchtung des Rio MedellinDie exzentrische Weihnachtsbeleuchtung des Rio MedellinUnd, gibts das in der Schweiz auch?

Die Stadt ist uebrigens bekannt fuer eine saisonbedingte Besonderheit: die Weihnachtsbeleuchtung. Ganz generell habe ich das Gefuehl, dass Vorweihnachtszeit in Kolumbien vor allem das ist: Leuchten, Blinken, Glitzern, Glimmen, in allen Formen und Farben. Ist ja klar, Schnee gibt´s ja nicht, Tannen auch nicht, jedenfalls keine echten. Ebenso wenig wie Plaetzchen, Stollen, Gluehwein. Aber eben Beleuchtung der Strassen und Plaetze, und, im Falle Medellín, des gleichnamigen Flusses. Ich habe dergleichen noch nie gesehen, ueber eine Laenge von mehreren hundert Metern ist der Fluss ueberspannt mit Skulpturen aus Licht. Das ist faszinierend und befremdend zugleich; letzteres ganz besonders, wenn man bedenkt, dass in Medellín 250.000 Haushalt ohne Elektrizitaet auskommen muessen.

Von den Freuden des VegetarierdaseinsUnseren schoensten Abend in Medellín verbrachten wir in einer kleinen Bude im Pueblito Paísa, ein nachgebautes Doerfchen mit Kirche und Wohnhaeusern, fuer das man auf den Cerro Nutibarra steigen muss – mit viel Bier der Marke Pilsen und auch etwas Aguardiente Antioqueño (Medellín befindet sich im Departamento Antioquia).


Das Zitat in der Ueberschrift ist uebrigens einer aktuellen Plakatkampagne der Stadt entnommen, Medellín hat sich ernsthaft vorgenommen, etwas gegen seinen schlechten Ruf zu unternehmen.

4 Kommentare

  1. Liebe Rebekka,

    es war ein schön, mit euch die Bilder aus Medellín sehen zu dürfen. No es orgullo nacional, aber ich lebe in einem schönem Land. Oder?

    Noch etwas anderes: Wie kann ich auch so eine Webseite haben?


  2. Hallo Blogodario:

    echt ein schöner Bericht zu Medellin. Ich habe das Vergnügen hier seit drei Monaten leben zu können, ist wirklich eine geniale Stadt 🙂

    @Rebekka:
    Du kannst dich unter http://www.wordpress.com anmelden und kannst dann deinen eigenen Blog starten.

    Liebe Grüße aus Medellin,

    André


  3. @andré

    nun, im letzten Monat besuchte ich auch die Stadt medellin und ich gehe mit dir einig, dass es sich allemal lohnt die Stadt zu besuchen. Land und Leute: wunderbar. aber ich finde es exrem schade, dass in deinem Artikel 1 satz über Armenquartiere geschrieben hast, denn dort liegt das problem, dass der Stadtbevölkerung heute die Probleme schafft. armenquartiere am Rande der Stadt werden ausgegrentzt, keine chancen auf Arbeit, keine Chancen auf integration. Deshalb sind die rekrutierungszahlen von Guerilla und Paramilitär rund um medellin so hoch, weil wenige Dollars die perspektivenlose Bevölkerung lockt.
    ich möchte hiermit nicht Medellin als schlecht darstellen, sondern darauf hinweisen, dass man nicht nur die Schoggiseite der Stadt präsentieren kann. Die reichen werden gesichtert und die armen dem Bürgerkrieg zum üblen opfer. Das ist zwar nichts neues, doch es darf unmöglich in vergessenheit geraten.

    Ich bin nachhause gekommen und kann mit überzeugung jedem erzählen, dass Medellin sich verändert hat und ein Besuch sich lohnt, jedoch unmenschliches an der Tagesordnung steht.

    pan

    ps: die autos halten bestimmt nicht!


  4. Medellin hat sich in den letzten 6 Jahren zu einem wahren „Wunder“ entwickelt. Die „neuen“ Zonen und die absolut liebenswürdigen paisas machen MDE zu dem was es heute ist. Ich lebte dort 3 Jahre und sie waren wunder bar. Zum Glück werde ich immer wieder dorthin zurückkehren.
    Thomas, lebend in der Schweiz und Medellin



Hinterlasse einen Kommentar