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Die Versöhnungskommission

Dezember 8, 2006

Folgenden Artikel habe ich für FESinfo geschrieben, die Zeitschrift der Friedrich-Ebert-Stiftung. Er wird dort so oder redaktionell überarbeitet oder auch gar nicht erscheinen, je nachdem, welch spannende Dinge die 89 anderen Auslandsbüros der FES zu berichten haben. Bitte beachten: Es ist ein Artikel für die FES über ihre eigene Arbeit (und nicht etwa für den Spiegel). Ansonsten glaube ich, dass man erahnen kann, womit ich mich hier in den letzten paar Monaten (unter anderem) beschäftigt habe.

 

Viel Leid, viel Hoffnung

Kolumbien: Die Arbeit der Nationalen Kommission für Wiedergutmachung und Versöhnung

Sincelejo, Hauptstadt des kolumbianischen Departements Sucre. Alle Plätze im Versammlungssaal des Hotels Marsella sind belegt, die Klimaanlage surrt. Die geladenen Vertreter der Opferverbände und zivilgesellschaftlichen Organisationen der Region haben eben noch Kolumbien in einem symbolischen Akt versöhnt und die Nationalhymne gesungen. Monseñor Nel Beltrán, Vertreter der Nationalen Kommission für Wiedergutmachung und Versöhnung (CNRR), begrüßt sie zur Consulta Social, der ersten von insgesamt neun, die in verschiedenen Städten in ganz Kolumbien durchgeführt werden. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stehen die Opfer des bewaffneten Konflikts, der das Land seit über 40 Jahren prägt. „Die Consulta Social soll dazu beitragen, das Wort wiederzuerlangen – das Wort, das so lange Zeit von der Angst entführt gewesen ist. Sie soll ein Ort des Zuhörens sein; sie soll helfen, Gerechtigkeit zu erlangen, den Frieden des Zusammenlebens wieder herzustellen – und vielleicht sogar dabei, verzeihen zu lernen.“

Die Kommission wurde im Jahr 2005, im Rahmen des Gesetzes 975 eingesetzt. Ihre Aufgabe ist es, „die Friedensprozesse und die individuelle oder kollektive Wiedereingliederung der bewaffneten Gruppen ins zivile Leben im Rahmen des Gesetzes zu erleichtern, und dabei die Rechte der Opfer auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung zu gewährleisten“. Die Vorstellung der Opfer von Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung ist es, die im Rahmen der Consultas gehört werden soll, damit sie in der zukünftigen Arbeit berücksichtigt werden kann. Doch zunächst gilt es, die Aufgaben und Ziele der Kommission selber zu vermitteln; nicht alle Kolumbianer wissen Genaueres über die noch junge Institution. Kommissionen mit vergleichbarem Auftrag in anderen Ländern wurden eingesetzt, als dort die Militärdiktaturen, Bürgerkriege oder, im Falle Südafrikas, die Apartheid beendet waren. Der kolumbianische Konflikt ist jedoch noch lange nicht überwunden, was die Arbeit der CNRR einzigartig und besonders problematisch macht. Die CNRR ist beauftragt, die Teilnahme der Opfer am Friedensprozess und die Durchsetzung ihrer Rechte zu sichern, den Prozess der Demobilisierung und Wiedereingliederung der bewaffneten Gruppen kritisch zu verfolgen und darüber Bericht zu erstatten, Empfehlungen für eine angemessene Wiedergutmachungspolitik zu geben und ein nationales Klima der Versöhnung zu schaffen. Das sind große Aufgaben, und die CNRR verfügt über begrenzte Mittel. „Die Werkzeuge der Nationalen Kommission für Wiedergutmachung und Versöhnung sind Politik und Moral“, sagt Monseñor Nel Beltrán bei der feierlichen Eröffnung des ersten Consultas in Sincelejo, „Trotzdem wird sie mehr erreichen, als ihre Kritiker glauben.“ Insgesamt wurden 13 Vertreter aus Regierung, öffentlichen Institutionen, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Opferverbänden in die CNRR berufen. „Die gemischte Zusammensetzung“, so Kommissarin Patricia Burítica, „hat den Vorteil, dass es der CNRR möglich ist, direkt öffentliche Politik für Wiedergutmachung und Versöhnung zu betreiben. Andererseits kann sie sich nicht so kritisch gegenüber der Regierung äußern, wie es bisweilen nötig wäre.“

Für ihre Arbeit hat sich die Kommission bestimmte Prinzipien gegeben, dazu gehören Transparenz, Integrität und Autonomie ebenso wie die Partizipation der Zivilgesellschaft. Die Idee der Consulta Social ist es, letztere abzusichern, die Meinung derjenigen Personen zu hören, die direkt von den Auswirkungen des Konflikts betroffen sind, die Opfer von Gewalt wurden, vor Paramilitärs oder Guerilla von ihrem Grund und Boden fliehen mussten, deren Angehörige entführt oder umgebracht wurden. Logistisch, organisatorisch und finanziell bewältigt die Kommission die Durchführung der Veranstaltungen in Zusammenarbeit mit internationalen Institutionen und nationalen NGOs; die Friedrich-Ebert-Stiftung Kolumbien ist ein wichtiger Partner.

Am Nachmittag des ersten Tages werden Arbeitsgruppen gebildet, je nach Interesse sollen sich die Vertreter der anwesenden Organisationen über ihre Vorstellungen von Wahrheit, Wiedergutmachung oder Versöhnung äußern. Immer wieder tritt das Misstrauen zutage, welches staatlichen Institutionen, die sich eigentlich um die Belange der Opfer kümmern sollen, nach wie vor entgegen gebracht wird. Dieses Misstrauen macht auch vor der Kommission selber nicht halt. „Warum“, fragt ein Teilnehmer, der in einem Projekt mit vertriebenen Bauern arbeitet, „wollt Ihr uns immer nur bilden und uns unsere Rechte erklären? Ihr gebt so viel Geld dafür aus, und es bleibt nichts übrig, um den Opfern ihren Schaden zu ersetzen.“ Als ungerecht empfunden wird es auch, dass demobilisierte Paramilitärs in den Programmen der Regierung Uribe eine materielle Unterstützung zur Wiedereingliederung erhalten, ihre Opfer jedoch kaum etwas. „Die Täter sollen nicht einfach in Ruhe leben können, während die Opfer unter den Folgen ihrer Gewalt leiden. Sie müssen bestraft werden“, fordert ein anderer Anwesender. Von vielen wird bezweifelt, dass es kurz- oder mittelfristig möglich ist, Versöhnung zu erreichen, auch wenn die meisten sie sich wünschen. Zu groß ist nach wie vor die Angst in den Regionen, zum erneuten Opfer von Gewalt zu werden, zu inkonsequent die juristische Verfolgung der Täter, zu unglaubwürdig ihre Reue. Deshalb soll Versöhnung nicht nur ein Ziel sein, sondern auch ein Mittel, eine Form von Politik, zur Überwindung des Konflikts beizutragen, wie ein Teilnehmer vorschlägt.

Am Morgen des zweiten Tages erwartet die Anwesenden schwer verdauliche Kost: Die beratenden Anwälte der Kommission erläutern die Vorrausetzungen und das juristische Prozedere, um als Opfer seine Rechte auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung in Anspruch nehmen zu können. CNRR-Jurist Álvaro Calix: „Wir haben sehr viele Anfragen bekommen, die zeigen, dass es in Bezug auf das Gesetz 975 riesige Wissenslücken gibt.“ Er wirft komplizierte Flussdiagramme an die Wand, erläutert leidenschaftlich die schwierige Materie. In den Genuss der im Gesetz für Gerechtigkeit und Frieden vorgesehenen Wiedergutmachung kommen nur Opfer von bewaffneten Gruppen, die in diesem juristischen Rahmen demobilisiert wurden und namentlich in entsprechenden Listen verzeichnet sind. Ist dies nicht der Fall, kann das Opfer trotzdem Entschädigung erhalten, entweder im Rahmen eines normalen Strafrechtsprozess oder der in früheren Demobilisierungsgesetzen vorgesehenen Möglichkeiten. „Der Anspruch auf Gerechtigkeit, Wahrheit und Entschädigung steht dem Opfer nicht automatisch zu, sondern muss von einem Richter anerkannt werden“, so Calix. Er empfiehlt, sich für den Weg durch den juristischen Dschungel professionelle Unterstützung zu suchen, am besten eines erfahrenen Anwalts. Viele Teilnehmer sind dankbar für die Informationen, sie sehen eine wichtige Aufgabe der Kommission darin, die Opfer über ihre Rechte und Möglichkeiten aufzuklären. Bei der Consulta Social in Bucaramanga will die Vertreterin einer lokalen Frauenorganisation wissen, ob auch Opfer der Guerilla das Recht auf Wiedergutmachung hätten. Doch das Gesetz 975 gilt nur für demobilisierte Paramilitärs. „Dann nützt es uns gar nichts, in Norte de Santander haben wir Probleme mit der Guerilla, nicht mit den AUC.“ Die Kommission kann hier nicht helfen; sie verfügt über ein politisches, nicht über ein juristisches Mandat.

Am Nachmittag ist noch einmal die Unterstützung der anwesenden Organisationen gefragt. Sie sollen der Kommission helfen, ein Nationales Netzwerk zur Unterstützung und Begleitung der Opfer des Konflikts aufzubauen. In nach Regionen unterteilten Arbeitsgruppen werden zunächst Vorschläge gesammelt, welche Aufgaben und Funktionen ein solches Netzwerk erfüllen müsste: psychologische Betreuung, Bereitstellung von Informationen, Orientierung, Unterstützung, juristische Beratung, Dokumentation und anderes mehr. Anschließend wird diskutiert und festgehalten, welche Organisationen, Stiftungen und Organisationen in der jeweiligen Region diese Funktionen erfüllen können. Auf diese Weise entsteht allmählich eine kolumbianische Landkarte der Unterstützung, die leider in einigen Regionen große Lücken aufweist.

Der Kooperationswillen, den die Kommission bei den Vertretern der Opferorganisationen vorfindet, ist – je nach Region – unterschiedlich groß, abhängig von den spezifischen Bedingungen vor Ort. Bei der Consulta in Cali beispielsweise sind kaum Afrokolumbianer vertreten, obwohl ihre Bevölkerungsgruppe in der Gegend die am stärksten vom Konflikt betroffene ist. Viele Teilnehmer befürchten, dass die Kommission nur ein weiteres Seminar veranstaltet, gute Absichten äußert, letzlich aber doch nichts verändert. Andererseits ist die Consulta gut besucht; die Menschen bringen die Hoffnung mit, an einem Prozess teilzuhaben, der dazu beiträgt, den kolumbianischen Konflikt zu überwinden. Die zweitägige Veranstaltung soll den Auftakt für eine langfristige Zusammenarbeit der Kommission und den Organisationen in den Regionen bilden. „Ich habe in diesen beiden Tagen viel Schmerzhaftes gehört, aber viel von Hoffnung und von großem Engagement. Wir wollen die Hoffnung, die die Menschen in die Kommission setzen, nicht enttäuschen“, so Monseñor Nel Beltrán bei seiner Abschlussrede in Sincelejo.

Die Veranstaltung endet mit einem symbolischen Akt. Auf dem Boden ist eine riesige Plane mit den Umrissen Kolumbiens ausgebreitet, darin eine Namensliste seiner Toten und Vermissten. Ihnen wird mit einer Schweigeminute gedacht. Dann gehen die Anwesenden hin und ergänzen die Liste. Jeder schreibt einen Namen. Oder zwei. Oder drei.

Es gibt sehr viel zu tun.

 

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